Und was ist mit dem Hören?

Zur Frage: Wie geeignet ist das Telefon in der therapeutischen Beziehungsgestaltung für das, was uns als Therapeut*in wichtig ist.

Der Musik-Konserven-Verweigerer und geniale Dirigent Sergiu Celibidache drückte es einmal so aus: „Was ist Ihnen lieber, ein Foto von Brigitte Bardot oder Brigitte Bardot in Natura?“ (für jene, denen dieser Name nichts mehr sagt – (Wikipedia)

  • Von Blinden weiß man, dass sie meist viel besser hören als wir. Sie steigern also ihre Empfindsamkeit, ihr Wahrnehmungsspektrum und holen aus dem, was sie hören viel mehr heraus, was wir gar nicht mehr hören. Ähnlich verhält es sich bei der gesteigerten taktilen Empfindbarkeit von Blinden.
  • Babies treten mit der Geburt in unsere Welt mit noch unausgereiftem Sehvermögen. Die Stimme der Mutter nehmen sie aber schon lange vorher im Mutterleib war. Viele Monate hindurch begleitet sie diese „Melodie“ und vermittelt Geborgenheit und Nähe. Und nach der Geburt genügt es dem Baby, die Stimme der Mutter zu hören, um sich zu beruhigen. Das Baby erkennt in der Stimme der Mutter, spürt heraus, wie es ihr geht, ob sie mit sich in gutem Kontakt ist oder außer sich. Die emotionale Regulation geschieht zuerst über die Mutter (Co-Regulation), erst später kann das Kind zunehmend eigene Emotionregulierung aufbauen. So nehme ich an, dass auch der Klang unserer Stimme (Tempo, Tonlage, Melodie , Rhythmus, Lautstärke, etc.) Einfluss hat auf das, wie uns der/die Klient*in „empfindet“. Und Klient*nnen erzählen uns ja auch: „dann habe gehört, wie sie zu mir gesagt haben …“, d.h. sie haben den Klang unserer Stimme internalisiert.
    Milton Erickson nutzte das auch in posthypnotischen Aufträgen: „Meine Stimme begleitet Sie überall hin“. (Wikipedia)

Resume

  • Vielleicht ist das HÖREN (mit geschlossenen Augen) per Telefon ein gangbarer Weg, wenn kein persönlicher Kontakt möglich ist. Wir hören/spüren was es beim Anderen macht, wir hören die Melodie, wir hören den Atem, auch wenn er stockt. Wir spüren den Widerstand, wenn wir daneben liegen oder es dem Gegenüber schwer fällt, etwas anzunehmen und es klingt anders. Und wir spüren unseren Rhythmus, den des Anderen, ob er/sie uns zu schnell ist oder wir zusammenpassen. Vielleicht spüren wir uns selbst sogar mehr, unsere Reaktionen, Gegenübertragungen. M. Erickson sprach von Pacing (und Leading).
  • Fast ist es für mich wie in der Musik: Das Konzert bietet das intensivste Erlebnis vor einer excellenten und fesselnden Audioaufnahme. Weit abgeschlagen ist die Konzert-DVD, auch in den Verkaufszahlen.

Zugabe für Musikliebhaber

  • Glenn Gould, dieser geniale Pianist als BACH-Interpret, zunehmend des Konzertierens überdrüssig, war überzeugt davon, dass Konzerte für die Musik ungeeignet seien. Er war nur mit excellenten Aufnahmen zufrieden. Und die sensationelle erste Aufnahme von BACHs Goldbergvariationen (1955) gibt es immer noch zu kaufen. 
    Da ist viel Wahres dran, meine ich.  (Wikipedia)
  • Sergiu Celibidache: Die Phänomenologie Edmund Husserls und der Zen-Buddhismus prägten Celibidache und seine Musikauffassung. Jegliches Ego des Interpreten solle aus der Musik verbannt werden. „Man will nichts, man lässt es entstehen“. Musik sei keine Konserve, die man festhalten könne, sie lebe im Augenblick der Entstehung, quasi „in statu nascendi“. So lehnte er Musikvermarktung rigoros ab, spielte nur Konzerte. Hörbeispiel: Mozarts Requiem
    Und auch ist sehr viel Wahres dran, so entgegengesetzt es ist. (Wikipedia)