Regeln für die ‚richtigen‘ Erziehung

Triadisches Denken in der systemischen Arbeit

Eine Lösung bei Erziehungsproblemen kann sein, dass Eltern sich auf ein Wertesystem einigen, in dem die unterschiedlichen Werte beider Herkunftsfamilien mit aufgehoben sind. Das ist dann ein übergeordnetes System , und jeder muss seines auf gewisse Weise aufgeben. Jeder wird dann seiner Ursprungsfamilie gegenüber schuldig, das macht es so schwer. Die Vorstellung, dass das eigene richtig und das andere falsch ist, hindert eher. Wenn die Eltern sich einigen, können sie den Kindern gemeinsam gegenübertreten. Dann fühlen sich die Kinder sicherer, und sie folgen dem gemeinsam gefundenen Wertesystem gerne.

Beispiel

Ein Mann und eine Frau fragten einen Lehrer, was sie mit ihrer Tochter machen sollten, denn die Frau musste ihr jetzt öfters Grenzen setzen, und sie fühlte sich dabei vom Mann zu wenig unterstützt.

Als Erstes erklärte ihnen der Lehrer in drei Sätzen die Regeln für die richtige Erziehung:

1. In der Erziehung ihrer Kinder halten der Vater und die Mutter unterschiedlich das für richtig, was in ihrer eigenen Familie entweder wichtig war oder gefehlt hat.

2. Das Kind folgt und anerkennt als richtig, was seinen beiden Eltern entweder wichtig ist oder fehlt.

3. Wenn sich einer der Eltern gegen den anderen in der Erziehung durchsetzt, verbündet sich das Kind mit dem, der unterliegt.

Als Nächstes schlug der Lehrer ihnen vor, sie sollten sich erlauben wahrzunehmen, wo und wie ihr Kind sie liebt. Da blickten sie sich in die Augen, und ein Leuchten ging über beider Gesicht.

Als Letztes riet der Lehrer noch dem Vater, er möge seine Tochter manchmal spüren lassen, wie er sich darüber freut, wenn sie zu ihrer Mutter gut ist.*


* aus Gunthard Weber: (Hrsg.): Zweierlei Glück – Die systemische Psychotherapie Bert HELLINGERS; Carl Auer Verlag

Systemisch – was ist gemeint damit?

Beitrag in Arbeit

Gregory Bateson, ein Vordenker und Wegbereiter des modernen systemischen Denkens: „Ein Wald besteht nicht primär aus einzelnen Bäumen, sondern vielmehr aus der Beziehung der Bäume, Wurzeln, Pilzen, Insekten, Wärme, Licht, Wind und dem Wasserhaushalt zueinander.“

Wir Menschen leben in verschiedenen Beziehungen, Systemen. Uns verbinden oder trennen Geschichten, die wir uns erzählen, positive oder auch negative Gefühle, die wir füreinander empfinden, bewusste und unbewussten Regeln.

Die Systemische Therapie fokussiert, wenn es zu Problemen kommt, nicht sosehr auf die Geschichte der einzelnen Person, sondern bezieht die Wechselwirkungen des Menschen in seinem Beziehungsgefüge mit ein.
Systemische Therapie schaut auf den Menschen mit seinen Verhaltensmustern im Kontext, die Individuen miteinander mehr oder weniger bewusst leben und bei denen es zu Störungen kommen kann.

Wir verhalten uns immer in einem Kontext, d.h. in einem größeren Zusammenhang, meist in einem Beziehungsgefüge mit anderen, aber auch intrapsychisch in unserem inneren Beziehungsgefüge in Form von inneren Anteilen.

Psychodynamik und Therapie per Video?

Zur Frage: Wie geeignet ist die Videotelefonie in der therapeutischen Beziehungsgestaltung für das, was uns als Therapeut*in wichtig ist.

In einer Zeit wie dieser, in der von Gesicht zu Gesicht-Termine stark eingeschränkt sind, ist vielfach die Rede von „distance counseling“ (Sprechstunden, Beratung und Therapie per Video). Deshalb möchte ich die Frage aufwerfen, inwieweit Psychotherapie als psychodynamischer Prozess per Videosetting überhaupt möglich ist.

Gehen wir davon aus, dass in der psychotherapeutischen Arbeit (ev. auch in Abgrenzung von Beratung und Psychoeducation) der Beziehungsgestaltung eine zentrale Rolle zukommt, wie GRAWE betont, erleben wir per Video doch eine erhebliche Einschränkung – wodurch?

  • Der Klient befindet sich zuhause, für viele kein neutraler Boden und geschützter Raum.
  • Die Technik (Übertragungsqualität, Medium, etc.) steht quasi als ein kaum kontrollierbares „Dritte“ zwischen Therapeut*in und Klient*in. Watzlawik hat sich ja sehr mit dem „Dritten“ in der Kommunikation auseinendergesetzt und demonstriert, wie schnell Interaktionspartner die Steuerung darüber verlieren können (sein Beispiel: Grosseto).
  • z.B.: das Gesicht / Mimik zerfällt immer wieder in verzerrte Pixel, Sprache läuft verzögert, Sprachnuancen verschwinden, man sieht sich nicht in die Augen, sondern fokussiert auf die Kamera oder den Bildschirm, dort ist meist die Kamera. Wenn wir wesentlich damit arbeiten, dass der/die Klient*in die Bedeutung unserer Interaktion bestimmt, fehlt uns schnell viel, weil wir vielleicht halb blind mit dem Auto durch die kurvenreiche Gegend fahren (siehe Artikelbild).
  • Per Videokontakt schauen wir unserem Gegenüber nicht in die Augen und umgekehrt. Wie können wir erkennen, welche Bedeutung unser Gegenüber diesem Umstand gibt. Was signalisiert ein ständig abgewandter Blick?  Nähe und Sicherheit, Anteilnahme, Interesse, Verstehen, Begleiten in Situation emotionaler Not und Gehaltenwerden, oder Ferne und Distanz.
  • Für jemanden, der „gesehen“, „wahgenommen“ werden will in dem, wie es ihm/ihr geht, kann das ziemlich frustrierend bis katastrophal sein.
  • Noch viel schwieriger kann es werden bei bei Klient*innen mit traumatischem Erfahrungen oder wenn das Irrationale überwältigend in den Vordergrund drängt und die Regulation der eigenen Befindlichkeit entgleist.

Resume

  • Vieles von dem, was therapeutische Präsenz im Sinne von Wahrnehmen in professioneller Beratung und Therapie ausmacht, geht in der Therapie per Video wohl verloren. Der/die Therapeut*in als versorgende Bezugsperson kann vielfach nur eine „brüchige“ Beziehung anbieten, was einen psychischen Entwicklungsprozess erschwert.
  • Für den Kontext Beratungen, Sprechstunden oder Begleitung (z.B. kontinuierlicher Kontakt) kann es eventuell durchaus hilfreich sein.

Im nächsten Gedankensplitter beschäftige ich mich im Vergleich dazu mit der Telefonberatung. Soviel sei schon verraten, wenn ich mit etwas schließe, was mich selbst geprägt hat:
„Meine Stimme begleitet Sie überall hin“ (Milton Erikson)
(Diese Gedankensplitter sind auch zu finden beim Menüpunkt „Mitglieder-Info“ unter BLOG).

Und was ist mit dem Hören?

Zur Frage: Wie geeignet ist das Telefon in der therapeutischen Beziehungsgestaltung für das, was uns als Therapeut*in wichtig ist.

Der Musik-Konserven-Verweigerer und geniale Dirigent Sergiu Celibidache drückte es einmal so aus: „Was ist Ihnen lieber, ein Foto von Brigitte Bardot oder Brigitte Bardot in Natura?“ (für jene, denen dieser Name nichts mehr sagt – (Wikipedia)

  • Von Blinden weiß man, dass sie meist viel besser hören als wir. Sie steigern also ihre Empfindsamkeit, ihr Wahrnehmungsspektrum und holen aus dem, was sie hören viel mehr heraus, was wir gar nicht mehr hören. Ähnlich verhält es sich bei der gesteigerten taktilen Empfindbarkeit von Blinden.
  • Babies treten mit der Geburt in unsere Welt mit noch unausgereiftem Sehvermögen. Die Stimme der Mutter nehmen sie aber schon lange vorher im Mutterleib war. Viele Monate hindurch begleitet sie diese „Melodie“ und vermittelt Geborgenheit und Nähe. Und nach der Geburt genügt es dem Baby, die Stimme der Mutter zu hören, um sich zu beruhigen. Das Baby erkennt in der Stimme der Mutter, spürt heraus, wie es ihr geht, ob sie mit sich in gutem Kontakt ist oder außer sich. Die emotionale Regulation geschieht zuerst über die Mutter (Co-Regulation), erst später kann das Kind zunehmend eigene Emotionregulierung aufbauen. So nehme ich an, dass auch der Klang unserer Stimme (Tempo, Tonlage, Melodie , Rhythmus, Lautstärke, etc.) Einfluss hat auf das, wie uns der/die Klient*in „empfindet“. Und Klient*nnen erzählen uns ja auch: „dann habe gehört, wie sie zu mir gesagt haben …“, d.h. sie haben den Klang unserer Stimme internalisiert.
    Milton Erickson nutzte das auch in posthypnotischen Aufträgen: „Meine Stimme begleitet Sie überall hin“. (Wikipedia)

Resume

  • Vielleicht ist das HÖREN (mit geschlossenen Augen) per Telefon ein gangbarer Weg, wenn kein persönlicher Kontakt möglich ist. Wir hören/spüren was es beim Anderen macht, wir hören die Melodie, wir hören den Atem, auch wenn er stockt. Wir spüren den Widerstand, wenn wir daneben liegen oder es dem Gegenüber schwer fällt, etwas anzunehmen und es klingt anders. Und wir spüren unseren Rhythmus, den des Anderen, ob er/sie uns zu schnell ist oder wir zusammenpassen. Vielleicht spüren wir uns selbst sogar mehr, unsere Reaktionen, Gegenübertragungen. M. Erickson sprach von Pacing (und Leading).
  • Fast ist es für mich wie in der Musik: Das Konzert bietet das intensivste Erlebnis vor einer excellenten und fesselnden Audioaufnahme. Weit abgeschlagen ist die Konzert-DVD, auch in den Verkaufszahlen.

Zugabe für Musikliebhaber

  • Glenn Gould, dieser geniale Pianist als BACH-Interpret, zunehmend des Konzertierens überdrüssig, war überzeugt davon, dass Konzerte für die Musik ungeeignet seien. Er war nur mit excellenten Aufnahmen zufrieden. Und die sensationelle erste Aufnahme von BACHs Goldbergvariationen (1955) gibt es immer noch zu kaufen. 
    Da ist viel Wahres dran, meine ich.  (Wikipedia)
  • Sergiu Celibidache: Die Phänomenologie Edmund Husserls und der Zen-Buddhismus prägten Celibidache und seine Musikauffassung. Jegliches Ego des Interpreten solle aus der Musik verbannt werden. „Man will nichts, man lässt es entstehen“. Musik sei keine Konserve, die man festhalten könne, sie lebe im Augenblick der Entstehung, quasi „in statu nascendi“. So lehnte er Musikvermarktung rigoros ab, spielte nur Konzerte. Hörbeispiel: Mozarts Requiem
    Und auch ist sehr viel Wahres dran, so entgegengesetzt es ist. (Wikipedia)