Zur Frage: Wie geeignet ist die Videotelefonie in der therapeutischen Beziehungsgestaltung für das, was uns als Therapeut*in wichtig ist.
In einer Zeit wie dieser, in der von Gesicht zu Gesicht-Termine stark eingeschränkt sind, ist vielfach die Rede von „distance counseling“ (Sprechstunden, Beratung und Therapie per Video). Deshalb möchte ich die Frage aufwerfen, inwieweit Psychotherapie als psychodynamischer Prozess per Videosetting überhaupt möglich ist.
Gehen wir davon aus, dass in der psychotherapeutischen Arbeit (ev. auch in Abgrenzung von Beratung und Psychoeducation) der Beziehungsgestaltung eine zentrale Rolle zukommt, wie GRAWE betont, erleben wir per Video doch eine erhebliche Einschränkung – wodurch?
- Der Klient befindet sich zuhause, für viele kein neutraler Boden und geschützter Raum.
- Die Technik (Übertragungsqualität, Medium, etc.) steht quasi als ein kaum kontrollierbares „Dritte“ zwischen Therapeut*in und Klient*in. Watzlawik hat sich ja sehr mit dem „Dritten“ in der Kommunikation auseinendergesetzt und demonstriert, wie schnell Interaktionspartner die Steuerung darüber verlieren können (sein Beispiel: Grosseto).
- z.B.: das Gesicht / Mimik zerfällt immer wieder in verzerrte Pixel, Sprache läuft verzögert, Sprachnuancen verschwinden, man sieht sich nicht in die Augen, sondern fokussiert auf die Kamera oder den Bildschirm, dort ist meist die Kamera. Wenn wir wesentlich damit arbeiten, dass der/die Klient*in die Bedeutung unserer Interaktion bestimmt, fehlt uns schnell viel, weil wir vielleicht halb blind mit dem Auto durch die kurvenreiche Gegend fahren (siehe Artikelbild).
- Per Videokontakt schauen wir unserem Gegenüber nicht in die Augen und umgekehrt. Wie können wir erkennen, welche Bedeutung unser Gegenüber diesem Umstand gibt. Was signalisiert ein ständig abgewandter Blick? Nähe und Sicherheit, Anteilnahme, Interesse, Verstehen, Begleiten in Situation emotionaler Not und Gehaltenwerden, oder Ferne und Distanz.
- Für jemanden, der „gesehen“, „wahgenommen“ werden will in dem, wie es ihm/ihr geht, kann das ziemlich frustrierend bis katastrophal sein.
- Noch viel schwieriger kann es werden bei bei Klient*innen mit traumatischem Erfahrungen oder wenn das Irrationale überwältigend in den Vordergrund drängt und die Regulation der eigenen Befindlichkeit entgleist.
Resume
- Vieles von dem, was therapeutische Präsenz im Sinne von Wahrnehmen in professioneller Beratung und Therapie ausmacht, geht in der Therapie per Video wohl verloren. Der/die Therapeut*in als versorgende Bezugsperson kann vielfach nur eine „brüchige“ Beziehung anbieten, was einen psychischen Entwicklungsprozess erschwert.
- Für den Kontext Beratungen, Sprechstunden oder Begleitung (z.B. kontinuierlicher Kontakt) kann es eventuell durchaus hilfreich sein.
Im nächsten Gedankensplitter beschäftige ich mich im Vergleich dazu mit der Telefonberatung. Soviel sei schon verraten, wenn ich mit etwas schließe, was mich selbst geprägt hat:
„Meine Stimme begleitet Sie überall hin“ (Milton Erikson)
(Diese Gedankensplitter sind auch zu finden beim Menüpunkt „Mitglieder-Info“ unter BLOG).