immer wieder begegnet mir dieses Thema
heute, im fortgeschrittenen Alter öfter
das Lebensende rückt in greifbare Nähe
der Tod ein Alltagsereignis?
Das Thema begegnet mir aber auch in meiner Arbeit
gerade dort, wo Alltag etwas betäubt und vergessen lässt
was wichtig ist wie Wasser zum Leben
einzigartig, flüchtig, lästig, wunderbar, vergänglich.
Und dann sitz ich am Totenbett meiner Tante
ein paar Takte vor dem nahen Tod
und eine ganze Weile nach dem Tod
alleine mit ihr
ich habe das Gefühl, die Zeit bleibt stehen
ich habe den Alltag für eine Weile verloren.
Eigentlich habe ich Musik mitgebracht
für sie und für mich
„Für Alina“ von Arvo Pärt
ich höre und staune
spüre die Ferne des Alltags
und erliege dem Bann des Moments.
Die nachfolgende Anregung ergab sich zufällig, Gedanken zum Tag (ORF-Ö1) 27.1.2021
Cornelius Hell über „die heilige Vergänglichkeit“ menschlichen Lebens, anlässlich des 100. Geburtstages von Kurt Marti
Alltag, gefährlichste Droge, von keinem Betäubungsmittelgesetz verboten.
Diese Diagnose aus dem Essayband „Zärtlichkeit und Schmerz“ des Schweizer Schriftstellers und Theologen Kurt Marti hat mir sofort eingeleuchtet.
Was alles alltäglich werden und woran man sich gewöhnen kann!
Die Liebe und die Beziehungen zu den nächsten Menschen,
die Faszination von Literatur und Kunst, die Praxis der Religion –
alles kann in banalster Alltagsroutine versacken.
„Ich kann nicht leben ohne Ekstase“, habe ich einmal in mein Tagebuch geschrieben. Aber diese großspurige Behauptung hat mich gegen die Droge Alltag auch nicht immunisiert.
So suche ich also, was sich in den Schriften von Kurt Marti an Wegen aus der öden Alltagsroutine findet.
Wozu beten? Damit uns nichts selbstverständlich wird, schreibt er in seinem Buch „Heilige Vergänglichkeit“.
Ich verstehe: Wenn uns die Klageschreie und das hymnische Lob, die beiden Grundströme des Gebetes, verloren gehen, dann kann sich das Lebensgefühl leicht auf eine wohltemperierte Gleichförmigkeit einpendeln und der Enthusiasmus auf die kleinen Freuden und Annehmlichkeiten des Alltags zusammenschrumpfen.
Hören Sie rein
https://oe1.orf.at/player/20210126/625396
Kurt Marti
Heilige Vergänglichkeit. Spätsätze. Radius Verlag 2010
Gedichte am Rand. Niggli, Teufen (Erstausgabe 1963) 1974,
Zärtlichkeit und Schmerz. Notizen. Luchterhand Verlag 1979